Netto Null braucht einen Plan

Nach dem Scheitern des CO2-​Gesetzes im Juni steht die Schweizer Politik vor grossen Herausforderungen. Einerseits soll das Zwischenziel von 50 Prozent Reduktion der Treibhausgase bis 2030 weiterhin erreicht werden. Wie, ist man sich noch nicht einig. Andererseits steht die Abstimmung zur Gletscher-​Initiative an. Diese verlangt, das Ziel «Netto Null 2050» in die Verfassung zu schreiben. Damit dürfte die Schweiz ab 2050 nicht mehr Treibhausgase ausstossen, als natürliche und technische CO2-​Senken aufnehmen können.

Die Chancen der Initiative stehen gut, immerhin hat der Kanton Bern dieses Ziel vor ein paar Wochen klar angenommen. Auch der Bundesrat hat in seinem direkten Gegenvorschlag zur Gletscher-​Initiative das Ziel Netto Null 2050 aufgenommen, aber die Einigkeit täuscht. Das Parlament muss in der Diskussion des Gegenvorschlages in den nächsten Wochen wichtige inhaltliche Punkte klären.

Erstens ist für die Erwärmung am Ende nicht nur der Zeitpunkt von Netto Null relevant, sondern wie viele Emissionen wir insgesamt ausstossen. Jede Tonne CO2 erwärmt die Erde, egal, wann und wo sie ausgestossen wird. Die Gletscher-​Initiative wie der Gegenvorschlag verlangen darum einen mindestens linearen Absenkpfad. Dieser ist ein zentrales Element, um die totalen Emissionen zu begrenzen.

Entscheidend wäre hier, einen Startpunkt für den linearen Absenkpfad festzulegen, doch ein solcher ist im Moment weder in der Gletscher-​Initiative noch im Gegenvorschlag bestimmt. Gibt es nur den Zeitpunkt für Netto Null, dann droht eine Politik des Abwartens bis 2040, nur um dann zu realisieren, dass die aufsummierten Emissionen zu hoch und eine rasche Reduktion auf null nicht mehr möglich sind.

Das CO2-​Budget zeigt also, wie viel wir insgesamt für ein vorgegebenes Temperaturziel ausstossen dürfen. Die «erlaubten» CO2-​Emissionen sind mitunter auch abhängig von den Massnahmen für andere Treibhausgase, von der Wahrscheinlichkeit, mit der wir das Ziel erreichen und davon, was ein fairer Beitrag der Schweiz an die globalen Anstrengungen sein soll. Selbst im optimistischsten Fall, wenn man global gleiche Emissionen pro Kopf für die Zukunft annimmt, sind die in der langfristigen Klimastrategie des Bundesrates vom Januar 2021 vorgesehenen Emissionen rund 40 Prozent über dem, was für 1.5 Grad Celsius nötig wäre.

Wenn man mit dem Prinzip der «gemeinsamen aber differenzierten Verantwortung» der UN-​Rahmenkonvention argumentiert und die vergangenen Emissionen sowie die technischen und finanziellen Möglichkeiten einbezieht, müsste die Schweiz noch schneller reduzieren.

Zum Vergleich: Führen wir das bisherige Reduktionstempo fort, wären wir sogar 2.5-​mal zu hoch. Wir sind also nicht auf Kurs. Würden die Emissionen bis 2030 halbiert und sänken danach linear bis 2050 auf netto null, lägen die totalen Emissionen noch etwa 15 Prozent zu hoch. Das ist aus meiner Sicht das Mindeste, was die Schweiz leisten muss und woran sich alle Vorschläge orientieren müssen.

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